Anregungen / Fragen

Forschungsprofil

 

Das Forschungsprojekt ist (inter-) disziplinär an der Schnittstelle zwischen politikwissenschaftlicher Wohlfahrtsstaatsforschung und der Wissenschaft Sozialer Arbeit angesiedelt. Es besteht auf fünf Teilprojekten, die sich inhaltlich alle mit dem Verhältnis von Politik und Sozialer Arbeit beschäftigen, aber jeweils andere Blickwinkel und Forschungsperspektiven auf das Thema einnehmen. Die fünf Teilprojekte orientieren sich analytisch am aus der Politikwissenschaft stammenden Politikzyklusmodell (vgl. Jann & Wegrich 2014), gehen aber auch darüber hinaus.

 

Wir nehmen damit die spannungsreiche Debatte um ein ‚politisches Mandat‘ Sozialer Arbeit auf. Laut der Internationalen Definition von Sozialer Arbeit ist diese „ein praxisorientierter Beruf und eine akademische Disziplin, die den sozialen Wandel und die Entwicklung, den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung und Befreiung der Menschen fördert. Die Sozialarbeit […] bindet Menschen und Strukturen ein, um die Herausforderungen des Lebens anzugehen und das Wohlbefinden zu verbessern.“ (IFSW & IASSW, 2004, Übersetzung: Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit). Diesem politischen Selbstverständnis steht entgegen, dass Soziale Arbeit auch immer eine disziplinierende und kontrollierende Funktion hat (Kessl 2005, 2006, 2013), gewaltvolle Kategorien und soziale Ausschlüsse (re-)produzieren kann (vgl. Anhorn, Bettinger & Stehr, 2008) und auch historisch Machtmissbrauch und Gewalt ausgeübt hat (vgl. z.B. Kappeler, 2000; Kuhlmann, 2012). Dennoch sehen wir das Potenzial der Sozialen Arbeit, spezielles Wissen in politische Debatten einzubringen, sich in politische Diskurse einzumischen, politische Reformvorschläge im Sinne ihrer Adressat:innen einzubringen oder diskriminierenden Praktiken gegenüber kritisch einzugreifen.

Unser Forschungsprojekt zielt damit auf die Frage nach der politischen Interessenvertretung von Menschen mit Armutserfahrung sowie auf die Frage, inwiefern sozialpolitische Reformprozesse auf die Bedarfe dieser Menschen reagieren. Wir möchten also herausfinden, inwiefern Bedarfs- und Interessenlagen von Menschen mit Armutserfahrung in sozialpolitische Reformprozesse in Bund, Land und Kommune eingebracht werden und welche Rolle Akteur:innen der Sozialen Arbeit auf unterschiedlichen politischen Ebenen dabei spielen.

Während sich einige Teilprojekte mit individuellen Fachkräften Sozialer Arbeit auseinandersetzen, fokussieren andere kollektive Akteur:innen, insbesondere die Wohlfahrtsverbände als (selbsterklärte) Anwälte marginalisierter Interessen. Auch die Rolle der Adressat:innen Sozialer Arbeit als Expert:innen ihrer Lebensrealitäten und Forderungen wird an verschiedenen Stellen in den Teilprojekten aufgegriffen (https://demsoz.web.th-koeln.de/teilprojekte/) . Die Vorhaben beruhen auf unterschiedlichen Methodenzugängen.

 

Der Projektbeirat

Das Projekt wird durch ein national und international ausgerichtetes Expert:innennetzwerk begleitet. Einmal pro Jahr werden die Aktivitäten und Planungen des Profilvorhabens im Projektbeirat vorgestellt und diskutiert.

Mitglieder:

Dr. Andreas Aust (der Paritätische Gesamtverband)

Prof. Dr. Antonio Brettschneider (Technische Hochschule Köln)

Michael David (Diakonie)

Prof. Dr. John Gal (Hebrew University of Jerusalem)

Prof. Dr. Christoph Gille (Hochschule Düsseldorf)

Prof. Dr. Riccardo Guidi (University of Pisa)

Frank Jäger (Tacheles e.V.)

Dr. Stefan Schäfer (Technische Hochschule Köln)

Prof. Dr. Idit Weiss-Gal (Tel Aviv University)

 

Verwendete Literatur

Anhorn, R., Bettinger, F. & Stehr, J. (Hrsg.). (2008). Sozialer Ausschluss und Soziale Arbeit. Positionsbestimmungen einer kritischen Theorie und Praxis Sozialer Arbeit. Wiesbaden: Springer VS.

Elsässer, L. et al. (2020): Not just money: Unequal Responsiveness
in Egalitarian Democracies, in: Journal of European Public Policy, online-first,
https://doi.org/10.1080/13501763.2020.1801804.

Elsässer, L. et al. (2017): ’Dem deutschen Volke?’ Die Responsivität
des Bundestags, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 27.

Jann, W. & Wegrich, K. (2014): Phasenmodelle und Politikprozesse: Der Policy-Cycle, in:
Klaus Schubert und Nils C. Bandelow (Hg.): Lehrbuch der Politikfeldanalyse, Oldenbourg: De Gruyter, 3., aktual. und überarb. Auflage, 97-131.

Kappeler, M. (2000). Der schreckliche Traum vom vollkommenen Menschen. Rassenhygiene und Eugenik in der Sozialen Arbeit. Marburg: Schüren Presseverlag.

Kessl, F. (2013). Soziale Arbeit in der Transformation des Sozialen. Eine Ortsbestimmung. Wiesbaden: Springer VS.

Kessl, F. (2006). Soziale Arbeit als Regierung. Eine machtanalytische Perspektive. In S. Weber & S. Maurer (Hrsg.), Gouvernementalität und Erziehungswissenschaft. Wissen – Macht – Transformation (S. 63–75). Wiesbaden: Springer VS.

Kessl, F. (2005). Der Gebrauch der eigenen Kräfte. Eine Gouvernementalität Sozialer Arbeit. München: Juventa.

Kuhlmann, C. (2012). Soziale Arbeit im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. In W. Thole (Hrsg.), Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch (S. 87–108), 4. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.

von Winter, T.  & Willems, U. (2000): Die politische Repräsentation schwacher Interessen: Anmerkungen zum Stand und zu den Perspektiven der Forschung, in: dies. (Hg.): Politische Repräsentation schwacher Interessen, Opladen: Leske und Budrich, 9-36.