Nach der erfolgreichen Abschlusstagung „Soziale Arbeit als politische Akteurin im Kontext von Armut: Potenziale, Spannungsfelder, Herausforderungen“ in Essen stellen wir Kurzberichte und – soweit wie möglich – die Präsentationsfolien und Videoaufzeichnungen für Sie zur Verfügung.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für Ihre Anwesenheit, ihre kritischen Anmerkungen und zukunftsweisenden Diskussionsbeiträge!
Simone Leiber (UDE) und Sigrid Leitner (TH Köln): Begrüßung und Einstieg in die Tagung
Nach der Begrüßung starte die Abschlusstagung inhaltlich mit zwei Keynotes:
Miriam Burzlaff (HS Neubrandenburg): Soziale Arbeit und politisches Engagement. Zwischen professionellem Selbstverständnis und empirischen Befunden. (Versuch einer Einordnung)
Wir wissen bislang erst sehr wenig über das professionelle politische Engagement von Fachkräften Sozialer Arbeit. Um dies zu ändern, haben Prof. Dr. Miriam Burzlaff (Hochschule Neubrandenburg), Tobias Kindler (OST – Ostschweizer Fachhochschule) und Dr. Talia Meital Schwartz-Tayri (Ben-Gurion University of the Negev) ein internationales Forschungsprojekt mit Fokus auf Policy Practice durchgeführt. Die Studie war als quantitative Querschnittstudie angelegt, die Datensammlung fand zwischen August und Dezember 2023 statt. Insgesamt haben in Deutschland 2314 Fachkräfte Sozialer Arbeit an der Online-Befragung teilgenommen. Nun liegen erste Forschungsergebnisse vor, die Miriam Burzlaff im Rahmen der Tagung vorstellte: Die deutliche Mehrheit teilte das in der internationalen Definition Sozialer Arbeit konstruierte professionelle Selbstverständnis einer politisch engagierten Sozialen Arbeit. Gleichzeitig geht aus der Studie hervor, dass eine Lücke zwischen Theorie (prof. Selbstverständnis) und Praxis (tatsächliches politisches Engagement) besteht: So zeigte Burzlaff auf, dass sich die befragten Sozialarbeitenden im Durchschnitt zwar manchmal für strukturelle Veränderungen auf organisationaler Ebene einsetzten und, die lokale sowie Bundesebene betreffend, selten in Policy Practice engagiert waren. Wiederum die Gestaltung von nationalen sowie internationalen Politiken (z. B. Gesetzen) betreffend, waren sie durchschnittlich nicht in Policy Practice engagiert.
Miriam Burzlaff ordnete diesen Befund zunächst vor dem Hintergrund der widersprüchlichen gesellschaftlichen Funktionen Sozialer Arbeit und ihrer institutionellen Eingebundenheit ein. Zudem führte sie die aufgezeigte Lücke auf die Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit wie eingeschränkte Möglichkeiten, mangelnde organisatorische Unterstützung und fehlende Ressourcen zurück. Auch formulierte Burzlaff die These, dass fehlende Risiko- und Konfliktbereitschaft von Fachkräften Sozialer Arbeit ein weiterer Grund für diese Lücke sein können.
Zugleich hielt Miriam Burzlaff als ein weiteres Studienergebnis fest, dass viele der befragten Fachkräfte folgendes Grundverständnis miteinander verbindet: Probleme von Adressat_innen Sozialer Arbeit sind oftmals strukturell bedingt, und Veränderungen des Status quo sind sowohl nötig als auch möglich.
Interessanterweise zeigte Burzlaff auf, dass in Policy Practice engagierte Sozialarbeitende durchschnittlich weniger als Einzelakteur_innen handelten, sondern vor allem auf Kollektivierungsstrategien zurückgriffen und bspw. Adressat_innen Sozialer Arbeit bei ihrem Einsatz für strukturelle Veränderung unterstützten.
Als Gedankenanstoß schlug sie vor, (bestehende) Zusammenschlüsse und transversale Bündnisse auszubauen, um die Handlungs- bzw. Widerstandsfähigkeit und Wirkmacht zu erhöhen sowie das Engagement in Policy Practice zu stärken – insbesondere lokale sowie (inter-)nationale Ebenen betreffend.
Die interessanten Ergebnisse der Keynote stießen auf vielfältige Resonanz im Publikum. Einige stellten die Frage, warum man als Sozialarbeiter_in überhaupt Tätigkeiten ausführen sollte, die nicht im Arbeitsvertrag stehen. Ein weiterer Diskussionspunkt war, ob und inwiefern sich Veränderungen an den Hochschulen abzeichnen, die möglicherweise eine politischere Ausrichtung der Sozialen Arbeit fördern könnten. Die Frage nach (der Schaffung von) Räumen kollektiven Handelns Sozialer Arbeit zog sich als ein wichtiger roten Faden auch durch viele der nachfolgenden Präsentationen.
Helen Dambach (UDE): Prekäres politisches Sprechen. Zur (Un-)-Möglichkeit der politischen Teilhabe von Armutsbetroffenen:
In ihrem bewegenden Vortrag setzte sich Helen Dambach (in Vertretung für den erkrankten Holger Schoneville) intensiv mit dem Thema Armut und dessen politischen Dimensionen auseinander. Ausgangspunkt ihrer Analyse war die Twitter-Bewegung #ichbinarmutsbetroffen, die als Plattform für die politische Artikulation und Sichtbarmachung von Armutserfahrungen dient.
Dambach skizzierte eindrücklich, wie der Alltag von Armut betroffenen Menschen als systematisches Unrecht wahrgenommen wird. Sie betonte das kollektive Ringen dieser Menschen um eine gemeinsame Sprache, um ihr erfahrenes Unrecht ausdrücken zu können. Dabei verwies Dambach auf Twitter als ambivalenten Ermöglichungsort von Gegenöffentlichkeit. Auf der einen Seite ermöglicht die Plattform eine breite Reichweite und Sichtbarkeit der Betroffenen, auf der anderen Seite kann die Anonymität in sozialen Medien auch Nachteile und Herausforderungen mit sich bringen.
Ein zentraler Punkt in Dambachs Vortrag war die Betonung der Kollektivität in der Anonymität. Sie zeigte auf, dass trotz der anonymen Natur der Online-Plattformen, eine starke Gemeinschaft entstehen kann, die es ermöglicht, politische Botschaften zu artikulieren und Sichtbarkeit zu erlangen.
In ihrem Ausblick stellte Dambach die Bedeutung partizipativer Forschungen heraus, bei denen die Betroffenen aktiv in den Forschungsprozess eingebunden werden. Sie betonte, dass das Erzählen der eigenen Geschichte und Erfahrung auch als eine Form des politischen Sprechens betrachtet werden sollte, da es dazu beiträgt, strukturelle Ungleichheiten sichtbar zu machen und Diskurse zu beeinflussen.
Helen Dambach’s Vortrag bot wichtige Einblicke in die politische Dimension von Armut und unterstrich die Bedeutung von Sprache, kollektiven Aktionen und Partizipation für die emanzipatorische Bewegung. Ihre Analyse regte dazu an, weiter über die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Artikulation in digitalen und analogen Räumen nachzudenken.
Für weitere Informationen besuchen sie gerne die Projektseite: https://www.uni-due.de/biwi/isp/tum/forschung_ichbinarmutsbetroffen
Nach den Keynotes folgten die Präsentationen des DemSoz-Teams:
Corinna Schein und Christopher Smith Ochoa (UDE): Interessenvertretung armutserfahrener Menschen: Deutschland, Österreich und Portugal im Vergleich
Hier geht´s zur Videoaufzeichnung:
https://th-koeln.sciebo.de/s/Sk0xaf2JHoZHQr0
Christian Gräfe und Nils Wenzler: (Ent-)Politisierung von Armut?
Welfare Mediation und Grenzbearbeitung in der Sozial- und Familienberatung
Hier geht´s zur Videoaufzeichnung:
https://th-koeln.sciebo.de/s/pEayIoB2R9ROwcH
Eva Maria Löffler: Sozialarbeiter:innen in der Politik
Hier geht´s zur Videoaufzeichnung:
https://th-koeln.sciebo.de/s/rZuM3gHGY71ujXN
Laura Einhorn: Zur Konstruktion sozialpolitisch relevanten Wissens durch kommunale (Sozial-) Planung und Soziale Arbeit
Hier geht´s zur Videoaufzeichnung:
https://th-koeln.sciebo.de/s/BHyn2QEZfghq0GR