Bericht zur Online-Veranstaltung am 04.11.24 mit Nivedita Prasad
Egal mit welchen Begriffen bewusst-politisches Handeln in der Sozialer Arbeit definiert wird: Der konkreten (professionellen) Praxis geht in der Regel eine strukturelle/gesellschaftliche Problemdefinition für sozial zu bearbeitende Themen voraus. Mit dem Sammelband zu „Methoden struktureller Veränderung in der Sozialen Arbeit“ bieten die beteiligten Autor:innen nun eine umfassende Übersicht über Handlungsmethoden und Konzepte für die Praxis.
Als Herausgeberin des 2023 erschienen Buches startete Nivedita Prasad ihren Input damit, diesen Ausganspunkt in einen internationalen Kontext zu stellen. So bestehe beispielsweise in Indien, Nepal oder Bangladesch ein sehr enges Verhältnis zwischen „social action“ und Sozialer Arbeit, welches im deutschsprachigen Raum aktuell weniger verhandelt wird. Es scheint als sei die Methodenperspektive der „social action“ im Laufe der hiesigen professionspolitischen Diskussion verloren gegangen. In Anschluss an und unter kritischer Betrachtung Michael Galuskes (2013) klassischen Methodentrias aus Einzelfallhilfe, Sozialer Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit, möchten Nivedita Prasad, Miriam Burzlaff, Oliver Fehren und Barbara Schäuble die Methodendiskussion reaktivieren und liefern einen erweiterten Vorschlag für eine Systematisierung, der „Methoden für strukturelle Veränderung“ explizit einschließt.
In den insgesamt 17 Beiträgen des Sammelbandes wird insbesondere darauf abgezielt, die Rolle der Sozialen Arbeit im Kontext der Förderung von social justice kritisch zu hinterfragen und zu gestalten. Prasad betonte auf der Online-Veranstaltung die Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung, des Lernens, der Haltung und der Handlungsfähigkeit von Sozialarbeiter:innen. Sie unterstrich die Relevanz des Triple Mandats der Sozialen Arbeit, das sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene Veränderung anstrebt bzw. anstreben sollte und in engem Verhältnis zur globalen Definition Sozialer Arbeit steht.
Anhand einer Reihe von anskizzierten Methoden verdeutliche Prasad, wie Sozialarbeiter:innen einen Umgang mit Racial Profiling finden und einen Beitrag für social justice leisten können. Das soziale Problem, bei dem Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Hautfarbe diskriminierenden Maßnahmen der Exekutive (z.B. der Polizei) ausgesetzt sind, kann durch gezielte Anwendungen wie Testimonials und Gesellschaftsgerichte sichtbar gemacht werden. Solche Plattformen geben den Betroffenen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen öffentlich zu teilen und das Bewusstsein für die Systematik der Diskriminierung zu schärfen.
Critical Monitoring kann eingesetzt werden, um Fälle von Racial Profiling systematisch zu dokumentieren und zu analysieren, um belastbare Daten zu sammeln, die für politische und rechtliche Initiativen zur Bekämpfung von struktureller Diskriminierung genutzt werden können.
Ziviler Ungehorsam, als ein kalkulierter gewaltloser Normbruch, könnte ebenfalls als Mittel dienen, um öffentlich gegen diskriminierende Praktiken zu protestieren und dadurch gesellschaftlichen und politischen Druck zur Veränderung auszuüben.
Strategische Prozessführung kann besonders hilfreich sein, indem sie gezielt Klagen gegen Racial Profiling initiiert, um Präzedenzfälle zu schaffen, die zu rechtlichen Reformen führen.
Durch die Nutzung des internationalen Menschenrechtssystems können Verstöße gegen Menschenrechte auf globaler Ebene thematisiert werden, um internationale Unterstützung für Reformen zu gewinnen und nationalen Druck aufzubauen.
Mit diesen Methoden umriss Prasad einen Ausschnitt der großen Bandbreite an Handlungsperspektiven, für bewusst-politisches Handeln in der Sozialen Arbeit.
Sozialarbeiter:innen leisten einen Beitrag zur gesellschaftlichen Sichtbarkeit sowie Anerkennung von sozialen Problemen und beteiligt sich im Rahmen von Öffentlichkeits-, Lobby-, und Kampagnenarbeit an strukturellen Veränderungen für social justice.
Prasads Input wurde mit großem Interesse aufgenommen und eröffnete weiterführende Diskussionen. Eine Herausforderung wurde in der Frage nach Finanzierung und Ressourcenallokation für die Arbeit gesehen, die durch solch engagierte Praktiken entstehen und in der Alltagspraxis als zusätzliche Belastung wahrgenommen werden können. Angesichts der fragmentierten Handlungslandschaft, in der Soziale Arbeit tätig ist, wurde die Frage nach den konkreten Akteur:innen (übergreifender) politischer Interessenvertretung gestellt. Zumal die verschiedenen Politikfelder, unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse mit sich bringen. Zudem stellt sich die Frage in der individuellen bis zur kollektiven politischen Arbeit, wie Mensch/Menschen effektiv auf den verschiedenen Ebenen von Einflussnahme agiert/agieren kann/können.
Es wurde die Befürchtung sichtbar, dass für Studierende und Praktizierende der Zugang zu diesen komplexen Themen als hochschwellig empfunden werden könnte, was das Risiko einer abschreckenden Wirkung birgt, besonders wenn das Verständnis politischer Strukturen und Prozesse noch nicht gefestigt ist. Eine Clusterung und gezielte Einführung in die Thematik könnte möglicherweise hilfreich sein, um Überforderung zu vermeiden.
In der eingebrachten Metapher um die politische Funktion der Sozialen Arbeit als „Rampensau und Bedenkenträgerin“ im Wohlfahrtsstaat kamen demokratietheoretische Diskussionen auf, die dazu beitragen, das subjektive Mandatsverständnis als Sozialarbeiter:in zu reflektieren. Soziale Arbeit in ihrer Wechselwirkung zu Sozialpolitik und Sozialstaat kann sich weiter danach befragen lassen, wie es um die Kritikfähigkeit der Profession und Disziplin im Wohlfahrtsstaat steht. Die Verankerung politischer Methoden im Curriculum könnte durch eine stärker auf die eigene Institution fokussierte Strategie oder über fachgesellschaftliche Organisationen wie die DGSA erfolgen.
Die Auseinandersetzung mit strukturellen Veränderungsmethoden bietet insgesamt wertvolle theoretische Ansätze und praxisorientierte Strategien zur Förderung von social justice in der Sozialen Arbeit. Sie zeigt praktische Beispielen auf, bietet Fachkräften Werkzeuge zur Initiierung von gesellschaftlichem Wandel, trägt zur Belebung der professionspolitischen Methodendiskussion bei und zeigt neue Forschungsfelder auf, politisches Handeln in der Sozialen Arbeit zu analysieren.
Im Anschluss an die Diskussion stellte Tamara Tries (Universität Innsbruck) ihr Promotionsvorhaben vor, welches nach einer Pause in kleiner Runde weiter diskutiert wurde. Der Titel ihrer Arbeit lautet „Geflüchtetenunterkünfte als Aushandlungsorte beruflicher Rollenverständnisse. Eine postmigrantische Betrachtung“.
Aus dem Denkansatz zu professionsethischen Konflikten von Sozialarbeitenden in österreichischen Geflüchtetenunterkünften hat Tamara Tries das Forschungsvorhaben erarbeitet. Sie bezieht sich in Ihrer Forschung zunächst auch auf die Gedanken von Prasad, dass „eine unkritische Umsetzung (vermeintlicher) gesetzlicher Vorgaben ohne professionsethische Analyse […] dazu beitragen [kann], dass Sozialarbeitende sich an struktureller Diskriminierung beteiligen. […] Wie Sozialarbeitende mit solchen Vorgaben umgehen, ist nicht erfasst.“ (Prasad 2021, 100). Da aber (aus diversen Gründen, die auch eine Rolle spielen) sehr viele verschiedene Menschen in Geflüchtetenunterkünften arbeiten, hat sie ihre Akteur:innendefinition etwas breiter gewählt. Ihr ist es wichtig, Realitäten in den Unterkünften zu erfassen und daraus auch Schlussfolgerungen für die Soziale Arbeit zu ziehen. Daher fragt sie nach den Rollenverständnissen von Menschen, die in den Unterkünften arbeiten und nach den Wahrnehmungen von Bewohner:innen. Die Erhebungsphase hat sie gerade abgeschlossen und beginnt aktuell mit der Auswertung mittels der dokumentarischen Methode. Ausgewertet werden episodische Interviews und ethnographische Protokolle. Es konnte über die besondere Herausforderung gesprochen werden, wie die Erkenntnisse konstruktiv in Schriftform umgewandelt werden können.
Das Team DemSoz bedankt sich für das breite Interesse an der Veranstaltung und bei allen Beteiligten.
Quellen:
Prasad, Nivedita (2021): Rassismus, Migration und Flucht als Themen im Kontext menschenrechtsbasierter Sozialer Arbeit; In: ogsa AG Migrationsgesellschaft (Hrsg.) (2021): Soziale Arbeit in der Postmigrationsgesellschaft, S.220-234, Beltz Juventa, Weinheim Basel.
Prasad, Nivedita (Hrsg.) (2023): Methoden struktureller Veränderung in der Sozialen Arbeit, Budrich, Opladen, Berlin, Toronto.